Wenn Zwänge einen nicht mehr loslassen

Für Julia war auch dieser Morgen die übliche Hölle: Bevor sie in die Uni gehen konnte, musste sie mindestens 15-mal nachgucken, ob das Bügeleisen wirklich aus war. Aber egal wie oft sie auch nachschaute, immer wieder quälte sie die Angst, den Stecker doch nicht aus der Steckdose gezogen zu haben.

Zwänge sind keine Seltenheit: 2 bis 3 % der Bevölkerung quälen Zwangshandlungen (z. B. Wasch- oder Kontrollzwänge) oder Zwangsgedanken so sehr, dass sie professionell behandelt werden müssen. Dabei handelt es sich nicht um Luxusproblemchen, die manch einer vorschiebt, um die ein oder andere ungeliebte Vorlesung sausen zu lassen. Zwänge machen das Leben zur Hölle. So kann es einem Zwangserkrankten passieren, dass er kaum noch seine Wohnung verlassen kann, weil er sich permanent darum sorgt, den Herd angelassen zu haben. Häufig haben Zwänge fatale Folgen, denn die Erkrankung geht häufig mit wachsender Isolation oder sogar beruflichem Abstieg einher.

Aber Sie müssen nicht gleich in Panik geraten, weil Sie sich nach der Arbeit im Chemielabor lieber dreimal als nur einmal die Hände waschen. Einige von uns achten beispielsweise einfach stärker auf Sauberkeit als andere, was noch lange nicht bedeutet, dass jetzt die Behandlung einer Zwangserkrankung notwendig ist. Wenn Sie sich allerdings so oft Ihre Hände waschen, dass ihre Haut offen und rot ist und Sie trotzdem nicht damit aufhören können, dann kann es sich durchaus um einen Waschzwang handeln.

Wie können Sie etwas genauer entscheiden, ob Sie es mit einem Zwang zu tun haben? Ein wichtiges Indiz für solch eine Erkrankung ist es, wenn sich Handlungen oder Gedanken schier endlos wiederholen. Außerdem ist es ein wichtiger Hinweis, wenn Sie das Denken oder Handeln als quälend wahrnehmen. Wenn es Sie beispielsweise gar nicht stört, dass Sie den Herd fünfmal kontrollieren, bevor Sie in die nächste Vorlesung gehen, dann liegt wahrscheinlich kein Zwang vor.

Ein weiterer wichtiger Hinweis auf ein mögliches Zwangsleiden ist es, wenn Sie das Gefühl haben, dass die quälenden Gedanken oder Handlungen in ihnen selbst, quasi in ihrem Kopf entstehen. Auch versuchen Menschen, die unter Zwängen leiden, häufig den auszuführenden Handlungen oder Gedanken zu widerstehen, allerdings meist mit nur bescheidenem Erfolg. Schließlich erkennen Sie einen möglicherweise behandlungsbedürftigen Zwang daran, dass er ihnen Stress bereitet und ihnen das Alltagsleben zur Hölle macht.

Aber keine Angst: Selbst wenn Sie Sorge haben sollten, an Zwangsgedanken oder –handlungen zu leiden, ist das kein Grund in Panik zu verfallen. Zunächst ist es wichtig, eine genaue Klärung vornehmen zu lassen. Die dafür nötigen Untersuchungen kann ein qualifizierter Psychologe oder Arzt durchführen. Sollte sich dabei herausstellen, dass Sie an einem Zwang leiden, dann bestehen eine Reihe von Möglichkeiten, die Erkrankung zu behandeln.

Einer der effektivsten Wege bietet die Verhaltenstherapie. Stark vereinfacht gesagt, lernt der Betroffene mit Hilfe des Therapeuten die zwanghaften Situationen, ohne die üblichen und quälenden Handlungen oder Gedanken, zu bewältigen. Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie gehören zu den Personen, die ihre Autotür zwanzigmal kontrollieren, obwohl Sie ganz genau wissen, dass die Tür abgeschlossen ist. Ihre Aufgabe besteht dann darin, gemeinsam mit dem Therapeuten zu üben, die Tür abzuschließen und einmal zu kontrollieren. In diesem Zusammenhang ist es wichtig mit der Angst, das Abschließen vergessen zu haben, anders umzugehen als durch ständiges Kontrollieren.

Wie bereits gesagt, Sie können lernen, mit Ihren Zwängen besser zurechtzukommen, auch wenn es kein leichter Weg ist. Falls Sie zu diesem Thema weitere Informationen benötigen, setzen Sie sich mit der Psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studentenwerks in Verbindung. Außerdem hier noch zwei Internetlinks, die für Betroffene sehr informativ sind:

www.zwaenge.de
www.zwang.ch

© Sebastian Niestroj